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Auschwitz, meine Heimat?

Updated: Feb 11, 2020

Wie kann man sich mit seiner Herkunft versöhnen?

Der Nazi-Wahn lässt sich mit all seinen Schrecken in einem Wort zusammenfassen: Auschwitz. Der Ort, wo über eine Million Frauen, Kinder und Männer auf bestialische Art ermordet wurden. Der Ort, wo der Mensch aufhörte, Mensch zu sein. Der Ort, wo Sadismus zum Alltag wurde. Der Ort des Grauens. Doch Auschwitz, polnisch Oświęcim, ist - auch - eine am Fluss Soła gelegene schöne Stadt in der Nähe von Krakau und Heimat von 40.000 Menschen. Unter ihnen: Die Verwandtschaft von Monika Mendat. Wie die deutschpolnische Historikerin und Künstlerin die schwarze Vergangenheit ihres Herkunftsortes in Farben verarbeitet und wie sie die Schuld in beiden Seiten ihres Ichs sucht, ist unter anderem Gegenstand dieses Artikels.

von Johanna Panagiotou Victoria Mali

ang. Kulturhistorikerin & Biographin

Doktorandin am Amerika-Institut der LMU

Ich kann mich gut daran erinnern, wie fast blamabel mir manche Besuche von Freunden und Verwandten aus dem Ausland zuweilen waren. Nach wenigen Minuten ihrer Ankunft und während der Planung ihres Aufenthaltes in München, kam das, was ich immer befürchtete und vermeiden wollte: "Und… Wann besuchen wir Dachau?". Gemeint war nicht die Kleinstadt, sondern das Konzentrationslager vor Ort. Was mich irritierte und skeptisch machte, war diese latente, manchmal auch offen zum Ausdruck gebrachte Begeisterung, die mit den dort schrecklichen Geschehnissen nicht vereinbar war und mit der ich nichts anfangen konnte.


Das ist etwas, was mich schon lange beschäftigt; nur wusste ich nicht, wie ich meinem Bedenken Ausdruck verleihen konnte.* Ein Grund warum ich mich auch von vielen »Feierlichkeiten« zum Gedenken an das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte distanziere. Anders ging es mir, als ich die Einladung vom BayernForum der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Ausstellungseröffnung "Auschwitz. Mahnmal. Heimat" von Monika Mendat erhielt. Frauen, die sich einer Kunst widmen, die politische Themen aufgreift, haben mich immer interessiert. Eine Tatsache, die u.a. mein Engagement bei Frau-Kunst-Politik erklärt.


Es war der 27. Januar 2020. Anlass? Der 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Seit 2005 gilt er als der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts.


*In der Zwischenzeit erschien am 03.02.20 im Tabula Rasa Magazin ein für starke Nerven Essay von Shanto Trdic, der kein Blatt vor den Mund nimmt und u.a. von einer Auschwitz-Hype spricht, die er mit der deutschen Gründlichkeit verknüpft und die er wiederum sowohl bei einer KZ-Leitung als auch bei den Holocaust-"Feierlichkeiten" beobachtet. Ferner wetzt er das Messer, greift tiefer in die Tatsache und behauptet: "Keine Frage: Auschwitz ist XXL, lässt alles andere ziemlich klein aussehen und sofort verdächtig werden. Über alle Anlässe hinaus: Auschwitz hier und Auschwitz da, Auschwitz überall! Es lebe Auschwitz! Sowas kriegen nur die Deutschen hin. Auschwitz wird ihnen zur nicht enden wollenden, alles und nichts rechtfertigenden Lüge**, die jedem, der sie zu erzählen weiß, entsprechende Vorteile sichert: im Kampf um eigene Pfründe. Auschwitz ist in den letzten zehn, zwanzig Jahren eine brauchbare Allzweckwaffe geworden, mit der man die eigenen Wertmaßstäbe weniger unter Beweis stellt, mehr billig behauptet, ohne selbst irgendetwas dafür leisten zu müssen."


** hier eher als Heuchelei gemeint

27. Januar 1945: Sowjetische Ärztinnen und Vertreterinnen  des Roten Kreuzes unter Kinderhäftlingen des Vernichtungslagers Auschwitz kurz nach der Befreiung durch die Rote Armee.
27. Januar 1945: Sowjetische Ärztinnen und Vertreterinnen des Roten Kreuzes unter Kinderhäftlingen des Vernichtungslagers Auschwitz kurz nach der Befreiung durch die Rote Armee.

AUSCHWITZ IN KÜRZE


- Das frühere polnische Kasernengelände wurde auf Befehl von SS-Chef Heinrich Himmler am 27.04.40 zum größten deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager umgebaut.


- Zunächst diente das KZ als Arbeitslager für politische Häftlinge aus Polen.


- Ende 1941 begann die Massenvernichtung.


- Es bestand aus 3 Lagerbereichen:

Auschwitz I: Stammlager

Auschwitz II: Vernichtungslager Birkenau

Auschwitz III: Konzentrationslager Monowitz. Hier wurde Zwangsarbeit verrichtet.


- Auschwitz III wurde von der IG Farben errichtet. Nach dem Motto „Vernichtung durch Arbeit“ mussten KZ-Häftlinge zur Herstellung von Benzin und Gummi beitragen.


- Verteilt auf 5 Krematorien wurden bis zu 4.756 Menschen täglich verbrannt.


- Am Ort herrscht klirrende Kälte; bis zu -30°C sind keine Seltenheit.


- Der Tod in den Gaskammern trat nach etwa 5-15 Minuten. Um Kosten zu sparen, wurde später weniger Zyklon B verwendet. So wurden Menschen nicht getötet, sondern betäubt und dann verbrannt.


- Vor der Befreiung am 27.01.2020 wurden Häftlinge auf einen Todesmarch nach Westen getrieben. Wer fliehen wollte, wurde erschossen. Die meisten überlebten die Märsche wegen Krankheit und Erschöpfung nicht.


- Während der Befreiung befanden sich 7.000 der Inhaftierten im Lager. Viele von ihnen überlebten nicht − trotz medizinischer Versorgung.


- Erwachsene waren auf unter 30 Kilogramm abgemagert.


- Junge Frauen hatten schon graue Harre.


- Unter den Befreiten waren 700 Kinder – 500 davon unter 15 Jahren.


- Die meisten Kinder befanden sich in einem desolaten Zustand. Sie litten unter Mangelernährung, Untergewicht und Tuberkulose.


Text und Recherche vor Ort: Monika Mendat

SCHWEBEMENSCH_ „Auschwitz. Mahnmal. Heimat“_ Monika Mendat
SCHWEBEMENSCH_ „Auschwitz. Mahnmal. Heimat“_ Monika Mendat

Das Unbegreifliche fassbar machen


Zweck dieser Ausstellung, die man bis zum 28. Februar 2020 in der Herzog-Wilhelm-Str. 1 in München besuchen kann, ist es, das Unbegreifliche fassbar zu machen. Dabei war für die Künstlerin diese Beschäftigung durch die bildende Kunst, Texte und Fotos eine Herzensangelegenheit und eine Gelegenheit, sich mit dem Heimatort ihrer Mutter auseinanderzusetzen. In diesem Sinne, versucht sie ihre Sehnsucht nach Heimat zu stillen und Antworten auf Fragen zu finden, die sie immer beschäftigte und die sie, jedoch, immer wieder verdrängte.


Nach innerlichen Konflikten, einem Geschichtsstudium, Forschungsarbeiten vor Ort und der Verarbeitung ihres Ichs durch die Kunst, gelang es Monika Mendat, tiefer in die eigene Familiengeschichte einzutauchen und ließ das Münchner Publikum ein Stück daran teilzuhaben.


Alles nur Propaganda?

„Meine Mutter und mein Onkel, beide aus Auschwitz, bestritten ihr Leben lang, was in den Lagern geschehen war, Mehr als eine Million Tote? Alles nur Propaganda. Ich fragte mich: Warum? Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten etwa 12.000 Menschen in Auschwitz, davon 7.000 Juden***. Im September 1945 waren es noch oder wieder 190, von denen die meisten aber auswanderten. Der letzte überlebende Jude, der 1925 in Auschwitz geboren wurde, starb dort 75-jährig im Jahr 2.000. Meine Oma hatte mir oft davon erzählt, dass Juden zur privilegierten Schicht im Ort gehört hatten, während junge Polinnen als Dienstmädchen in ihren Haushalten arbeiten mussten.“

Und sie fragt sich:

„Hat dieser Umstand den Polen die Verdrängung erleichtert?“


*** "Der Name Auschwitz ist zur Chiffre des «präzedenzlosen» (Detlef Peukert) staatlich organisierten und industriell geplanten Massenmords an Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti und unzähligen weiteren Menschen geworden, die von der Nazi-Ideologie als «lebensunwert» deklariert wurden."

MUTTER & TOCHTER_„Auschwitz. Mahnmal. Heimat“_ Monika Mendat
MUTTER & TOCHTER_ „Auschwitz. Mahnmal. Heimat“_ Monika Mendat
"Man habe sich gewundert, dass ständig dunkle Wolken über die Stadt hingen"

"Meine Mutter war, wie die meisten Polen, katholisch und bis ins Bigotte gläubig. Überstieg das Grauen ihr Vorstellungsvermögen? Konnte sie nicht fassen, dass die Deutschen, zu denen sie so gern gehören wollte, zu so etwas in der Lage waren? Dabei hatte sie als junge Frau, wie sie immer wiedererzählte, Führungen im Konzentrationslager angeboten. Meine Oma antwortete auf Fragen zum Thema, man habe sich gewundert, dass ständig dunkle Wolken über die Stadt hingen. Warum, das habe man sich nicht gefragt".

Die Mitglieder meiner Familie waren nicht anders als viele Polen, die die Verantwortung für den aufsteigenden Rauch einzig den Deutschen zuschieben wollen. Dabei herrscht noch heute ein starker Antisemitismus in Polen.

Menschenverachtende „Schweine“ deutscher Provenienz

"Als ich in den 1990er Jahren zum ersten Mal das KZ in Auschwitz besuchen wollte, fragte mich mein Onkel, was ich dort anschauen möchte. Da würde es ja nicht zu sehen, geben. Es waren für ihn halbverfallene Baracken ohne Wert. Als seine Tochter kleiner war, glaubte sie, dass dort Schweine in Ställen lebten. Ich bin trotzdem hingefahren, um das Werk menschenverachtender „Schweine“ deutscher Provenienz anzuschauen".


Ihr Fazit:

"Wollen wir nicht lieber in der SCHÖNHEIT DER FARBE leben?"

Dafür muss aber täglich Vieles getan werden. Das Grauen lauert um die Ecke. Gestern war es Auschwitz, heute kann es Bornhagen sein.

Johanna Panagiotou Victoria Mali

Historikerin und Künstlerin Monika Mendat. Foto: Ethno Arts by JOPA
Historikerin und Künstlerin Monika Mendat. Foto: Ethno Arts by JOPA
 

Quellen

***: Obens, Henning; Taschke, Anika. «Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.» Auschwitz und das Ringen um die Erinnerung, in: Rosa Luxemburg Stiftung. www.rosalux.de/dossiers/es-ist-geschehen-und-folglich-kann-es-wieder-geschehen/#pk_campaign=rls-newsletter&pk_kwd=02-2020.

Zuletzt aufgerufen am 11.02.2020


FOTO-Copyrights


HAUPTFOTO farbik:

© Polska Agencja Prasowa, via Associated Press, found in nytimes.com

HAUPTFOTO schwarz-weiß:

Rynek w Oświęcimiu, Wikipedia, Aneta Lazurek - Praca własna

Ta fotografia przedstawia zabytek wpisany do rejestru zabytków pod numerem ID

CC BY-SA 3.0 pl, File: Oświęcim - Układ urbanistyczny AL05.JPG

Utworzony: 10 marca 2014


FOTOS VON MONIKA MENDAT

Aus dem Katalog der Ausstellung

Copyrights: Monika Mendat, Schlossstraße 4c, 86316 Friedberg, www.stilbetrieb.de

© Monika Mendat. All Rights reserved.


FOTO VON AUSCHWITZ

© picture alliance/B.Fishman/Sputnik/dpa. Gefunden in: rosalux.de


 
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